Magie des Materials / Ironie nicht ohne Unschuld
Was bringt zwei so unterschiedliche Künstler dazu, gemeinsam auszustellen, ihre Werke in Beziehung zu setzen. Gegensätze ziehen sich an und ergänzen sich, diese Erkenntnis ist nicht neu und hat vor allem in der fernöstlichen Philosophie eine subtile Ausformung gefunden. Doch auch im europäischen Kulturraum hat die ästhetische Variante, Gegensätze zu verbinden, Tradition. Wir finden sie dort, wo sie zunächst niemand vermuten würde, nämlich in der Entdeckung der Qualität des Torsos. Die Faszination, die der Torso des Belvedere in der vatikanischen Antikensammlung auf Michelangelo ausübte, kann als Beispiel für viele angesehen werden. Der Gegensatz von durchmodellierter Form und gebrochenem Stein, der der Vorstellungsgabe und der Phantasie einen ebenso offenen wie exakten Schluss einräumt, führt andererseits auch zu einem emotionalen Verstehen, das aus dem einzelnen auf eine allgemeine Beschaffenheit schließen lässt. Die Verbindung von Gegensätzen und deren Ausgleich empfinden wir harmonisch, doch ist es angebracht, die Vorstellung der „Harmonie der Gegensätze“ auf den Ursprung ihrer Namensgebung zu überprüfen. Harmonia war die Tochter der Aphrodite und des Ares, die Frucht eines Seitensprunges, denn Aphrodite war mit dem notorisch eifersüchtigen Hephaistos, dem Schmied der Unterwelt, verbunden. Das Halsband, das er als Geschenk für Harmonia herstellte, war Anlass für viele Verwicklungen. Von Anfang an war bei der Vorstellung von Harmonie Spannung und Gewalt mit im Spiel. Erinnern wir uns, dass Harmonia (griech. „Eintracht“) die Tochter des Kriegsgottes Ares und der Liebesgöttin Aphrodite war.
Nach Konrad Paul Liessmann besteht die Erzeugung von Harmonie in der Kunst, das, was auseinanderstrebt, weil es different ist, zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen, und nicht darin, das Differente einzuebnen. Euripides nennt die Harmonia Mutter der Musen. Aus der Vorstellung von Ordnung und Eintracht entgegengesetzter Dinge entstand ein dualistischer Grundentwurf einer allgemeinen Weltordnung und der Wohlgeordnetheit der Seele: die harmonia mundana verbunden mit der harmonia humana.
Eine andere Herausforderung vollzieht sich in der Wandlung und Vorstellung des Portraits. Das Selbstportrait des Künstlers hat in Europa eine lange Tradition. Es widerspiegelt das jeweilige gesellschaftliche Selbstverständnis des Künstlers und seiner Zeit. Der Wandel vom privaten Portrait, das die künstlerische Tätigkeit negiert und den Maler als Edelmann oder wohlsituierten Bürger zeigt bis hin zur schonungslosen Beschäftigung mit dem eigenen Ego ist ein faszinierender Vorgang im Bereich der Malerei. Von Lovis Corinth, Egon Schiele, Richard Gerstl bis zur versuchten Auslöschung jeder Attitüde durch Übermalung durch Arnulf Rainer setzt sich beispielhaft der Bogen fort, um letztlich die Frage herauszufordern: „Bin ich das? Was will ich? Woher komme ich und wohin gehe ich?“
Sich selbst als lebende Skulptur zu erfahren gelingt nur wenigen. Von sich selbst ein plastisches Abbild zu schaffen ist noch weniger vorstellbar. Seine eigenen Vorstellungen in eine andere figurale Form einfließen zu lassen, ist das dynamische Element in der Kunst. Es mag für den Künstler viel Mut und Egomanie dazu gehören, hinter der vordergründigen Portraittreue und Körpergenauigkeit seine eigene Körperbefindlichkeit zu entdecken. Oder, wie es Peter Turrini in einem anderen Zusammenhang formulierte, „Wer nur durch Freundlichkeit überlebt, wird die Wahrheit schwer ertragen.“ Allerdings ist das formale Abbilden einer erkannten Beschaffenheit jeweils nur eine Facette von Wahrheit. So geht es im künstlerischen Diskurs weniger um Wahrheit, als um Wahrhaftigkeit, die beim einzelnen liegt, die vom Künstler, aber auch vom Betrachter einforderbar ist. Das Schöne und das Gute sind hinfällige Metaphern, die eine Besserung des Menschen durch Ästhetik erhofften.
Ramacher & Einfalt nehmen das Leben so wie es ist: Nicht ohne Konflikte, verschieden in ihrer Sicht der Welt und der Dinge, verschieden in der Fragestellung, welche Form, welches Material, welche Technik und Betrachtungsweise uns mehr über das Sein und den Schein der Dinge mitteilen.
Die goldenen Lederhosen persiflieren und verändern zugleich das alpenländische Imago – Image. Gold erweckt aber auch mannigfache Assoziationen. Gold wird den Göttern geopfert, für gold wurden bedenkenlos Menschen geopfert. Gold verträgt sich mit Stein, vorzugsweise mit weißem Marmor. Gold geht eine Allianz mit Purpur ein, ein Farbstoff, der nicht zufällig aus lebenden Schnecken gewonnen wurde. Die Vorstellung, dass am Gold Blut, also Leben und Schicksal, klebt, überrascht nicht. Gold wäscht auch wieder rein. Und doch ist es gefeit vor Surrogaten und Talmiglanz. Goldflitter und Goldpapier decken mehr auf als sie verbergen: Falsch-süße Mozartkugeln oder steinharte Wienerherzen unter Goldpapier. So sind die beiden lebensgroßen Figuren mehr als bloße Selbstdarstellung, sonder ein Metapher für den Aberwitz und Größenwahn unseres Landes, das die Zufälligkeit einer vor tausend Jahren niedergeschriebenen Namenserwähnung dazu benützt, um endlich österreichische Bescheidenheit in der ganzen Welt zu verankern. Müde, ständig ein Klischee verpasst zu bekommen, wird es lustvoll und voller Obsessionen als Instrumentarium eingesetzt, um endgültig Verwirrung zu stiften. Mit Augenzwinkern wird unverhohlen Ratlosigkeit zum Thema erhoben.
Die postmoderne Antwort bezieht sich auf die Beziehung der beiden Künstler, sie führt allerdings in der Beurteilung von J. Ch. Einfalt und J. Ramacher ins Leere, denn jeder von beiden zeigt individuelle Entwürfe; Geisteswelten, die uns voll gefangen nehmen. Der Erkenntniscode ist unsere Bereitschaft, sich diesen Versatzstücken von Natur und artifizieller Welt, kultureller Erinnerung und technologischer Experimente, zu stellen.
J. Ramacher kann auf eine solide, handwerklich-bildhauerische Ausbildung verweisen. Gerade diese selbstverständliche Vertrautheit mit dem Material, vor allem Holz, veranlasste ihn früh, sich gänzlich anderen Materialien zuzuwenden. Dies fand er bei technischen Fundstücken, wie Sitzen von Traktoren, die er verfremdete und in Neuzusammenhänge setzte. So kam er auch zu grundsätzlichen Überlegungen, was Plastik und Dreidimensionalität für ihn bedeuten. Mit Hilfe von Licht begann er mit Schattenwirkungen zu experimentieren. Aus Anlass eines Wettbewerbes versuchte er mit Hilfe eines „gerupften Hendls“ menschliche Positionen nachzustellen. Abgegossen oder realistisch in Holz nimmt das „Hendl“ den untersten Platz einer imaginären Rangskala ein. Das „dumme Hendl“ als Figur einer Tierfabel wurde von ihm drastisch in den Mittelpunkt einer inszenierten Installation gestellt. Motto: „Am Marterpfahl eines Hühnerlebens“.
Über diesen Exkurs, den er bald wieder aufgab, um nicht in Gefahr einer seriellen Erstarrung zu geraten, fand er zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Die Beschäftigung mit dem Huhn als Kreatur zeigte Jürgen Ramacher den Weg: Kunst und Erkenntnis in sich selbst zu suchen und auf keine von außen angebotene Begrifflichkeit zu warten.
So gab er sich als Bildhauer auf die Suche nach neuen Sinngebung der Dreidimensionalität.
Sich in der Räumlichkeit behaupten zu können, ist für ihn eine der größten Herausforderungen geblieben. Auf die Frage, wie die Behauptung zu verstehen sei, die Bildhauerei habe abgedankt, wird Jürgen Ramacher emotional: „Der Mut ist verloren gegangen. Im Spannungsfeld vom Form und Freiraum haben viele verlernt, mit Form und Material richtig umzugehen. Wer nur mit der Form alleine umgeht, wird idealisiert, und das Ergebnis werden viele bewunderte Schmeichelsteine sein“.
Allerdings: Wenn Kunst nur intellektuell zugänglich gemacht werde, verschließe sich der Künstler dem Menschen. Kunst muss einfacher, weniger verschlüsselt, transparenter und weniger mit Inhalten betrachtet werden. Ob dies nicht missverständlich sei? Natürlich, Kunst
Solle mitteilbar sein, dürfe Tabus verletzen, doch müsse der Sinn für andere nachvollziehbar sein. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein besonderes Erlebnis verbindet ihn mit dem Bildhauersymposium von Fanano im Apennin. Die Art, wie der Stein bearbeitet wurde, der enorme technische Aufwand, der damit betrieben wurde, erschreckten ihn. Der Stein als Teil der Natur wurde brutal eliminiert. J. Ramacher spürte plötzlich, wie sehr der Künstler Teil der Natur und seine Arbeit nur
ein Segment der schon stattgefundenen Veränderung ist. Er nahm die abstrakte Form von Feldsteinen auf, die als Findlinge schon eine von der Natur herausgehobene Form haben.
Er teilte die Steine, bearbeitete sie subtil und brachte so die Teile wieder in eine Beziehung. Für Jürgen Ramacher sind Steine gebündelte Energie. Die Verletzung des Steines, beziehungsweise die Art, mit ihm umzugehen, ist auch ein Spiegel, wie der Mensch mit der Natur umgeht.
Daneben faszinierte ihn der Eisenguss: Gusseisen, die nicht plastisch den Raum beherrschen, sondern Wände und Flächen strukturieren. Aus dieser Beschäftigung mit Eisen, Oxydationsprozessen und Metallveränderungen entstanden Photoserien, die anfangs die eigene Arbeit in Frage stellen sollten, dann aber zu neuen Formen und Ideen führten.
Was aber, wenn sich ein junger Mann der Malerei zuwendet und abstrakte Hintergründe mit gegenständlichen Versatzstücken kombiniert? J. Ch. Einfalts üppige Blumenstilleben irritieren den sich kundig gebenden Betrachter.
Umberto Eco hat sich nach einer langen Ära der allgemeinen Zertrümmerung aller Formen auch mit einer möglichen Einsicht des Menschen, Schlüsse daraus zu ziehen, beschäftigt. Seine postmoderne Antwort ist einfach: Sie besteht in der Einsicht und Anerkennung, dass die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefasst werden muss: „Mit Ironie, nicht ohne Unschuld“.
So erstarrt Kunst in einer Codierung, verfügbar für jeden Anlass. Nostalgisch, abstrakt, expressiv, gestisch vorgetragen oder wiederum minimalistisch bis konstruktiv. Der Haken dabei: Ironie muss nicht immer wahrgenommen werden. Wer Gartenzwerge nicht als ironisches Zitat sieht, gerät in die Falle. Sie werden zu dem, was sie sind: Liebenswerter Kitsch. Dieser Gefahr hat sich J. Ch. Einfalt entzogen. Seine Bilder gefallen zwar, doch bleibt vieles offen. Seine Bilder sind vordergründig literarisch und öffnen sich erst allmählich dem Betrachter.
Wie österreichisch ist seine Kunst? Diese Frage wurde ihm erst im Ausland bewusst. Für ihn persönlich liegt das Österreichische in der Üppigkeit und der Lust am Fabulieren, wobei notwendigerweise Ironie als Regulativ eingesetzt wird. Kreative Freiräume sind selten geworden. Die emotionale Kälte und Perfektion unseres vernetzten Computerzeitalters versucht er mit Hilfe von in sich klar abgegrenzten geometrischen Flächen, die nur oberflächlich an die Abstraktionen Mondrians erinnern, einzufangen.
Seine älteren Arbeiten sind oft kleine Installationen, Relikte oder Anregungen für neue Kombinationen. Aus dieser plastischen Erfahrung entstanden Reliefbilder, die er aus Kinderspielzeug und Abgüssen klassischer Werke neu entstehen lässt. Das, was ihn von Hans Peter Feldmann oder Jeff Koons und andern Vertreter der Pop- und Kitsch-Art unterscheidet, ist nicht nur der andere Umgang mit Farbe, die von J. Ch. Einfalt subtiler und mit dem Anspruch des Malerischen eingesetzt wird, sondern jedes Werk wird auch optisch zum Unikat. Der Gegensatz zu Andy Warhols Campells-Suppendosen ist eklatant. Die
Pop-Art akzeptierte die Dinge, wie sie waren, auch wenn sie Werbung als Wirklichkeit ausgab. Als Warhol 1967 dann schließlich echte Campells-Suppendosen signierte, war dies nicht nur als Entzauberung des Mythos vom Original zu verstehen, sondern er wollte das individuelle und künstlerisch spezifische der Kunst auslöschen: „Ich meine, jeder sollte eine Maschine sein“. Genau das Gegenteil davon strebt J. Ch. Einfalt an. So hat für ihn Kunst einen spezifisch individuellen ästhetischen Anspruch, der allgemein verständlich bleibt.
J. Ch. Einfalts Bilder stehen zwar in der österreichschen Tradition surrealer Konstrukten, auch atmet die Kombination volle Künstlichkeit, die Objekte sind vom Künstler nach einem scheinbaren Zufallsprinzip zusammengestellt, und dennoch lässt jedes Objekt eine Assoziationskette im Betrachter frei werden. Bruchstücke wecken Erinnerungen. Ja, so ist das Leben, stets gefährdet und bruchstückhaft. Freilich, so pessimistisch sind Einfalts Bilder nicht. Er schafft neue Welten; er bezieht lustvoll und ironisch alte Mythen, religiöse wie antike, in seine Kritik an der Gegenwart mit ein und er scheut sich nicht, Landschaften darzustellen, imaginäre Abbilder unserer Vorstellungen. Einfalt: „Kunst soll im Kopf geistige Freiheit entwickeln. Man kann nicht flüchten, der Künstler muss sich stellen“.
Der blaue Philosoph in seinem Bild sitzt genau so unbeweglich da wie die Karyatide stumm ihr Rehbockgeweih trägt… What´s that? That´s life!
Der Widerspruch wird zur zelebrierten Einheit. Kein Bild, keine Plastik bleibt isoliert. Ein neuer Dialog hat begonnen.
Katalog Ramacher & Einfalt Niederösterreichisches Landesmuseum, Blau-Gelbe Galerie „Gipfelsturm und Swimingpool“ 1996