Eigentümliche Spiele an abseitigen Gestaden



Ein Bild, das einen förmlich anfällt; ein Bild das, ohne zu fragen, sich selbst grell ins Spiel bringt: Starr ragen kahle Äste in einen bleiern farblosen Himmel. Am unteren  Bildrand das Wasser eines Bergsees. Darin tummelt sich ein nacktes Paar; er, vorn, trägt ächzend eine Frau am Rücken; die selbst neugierig erregt, mit einem verhangenen Blick einem weißen Pferd nachschaut, das, vorn rechts im Bild, mit herausragenden Vorderbeinen heftig bewegt ausschlägt und sich leicht gesenkten Kopfs aus den Fluten an das Ufer zuzubewegen scheint. Im Hintergrund, in der unteren Mitte des hochformatigen Bildes sieht man eine weitere unbekleidete Schöne. Diese reckt sich emphatisch auf einem Podest empor in die Höhe, das, wie beim Modellsitzen bei einem Salonmaler, mit goldfarbenen Samt drapiert ist; sie wendet ihren seitwärts gedrehten schlanken Rücken kühl dem Betrachter zu. Seitlich von dieser verführerischen, lasziv positionierten Muse erblickt man dann das bekannte Künstlerduo Ramacher & Einfalt bei einem ihrer gewohnten Auftritte. Beide blicken den Bildbetrachter direkt und ungerührt an. Vor ihnen scheppert ein schmaler Holznachen im seichten Wasser; ein Ruder ragt daraus so zentral und auffallend ins Bild, als warte es gerade auf einen fest entschlossenen Zugriffs eines Fährmanns. Das gesamte Bild vermittelt bei einem flüchtigen Überblick einen Eindruck einer schrägen Idylle. Alle Versatzstücke stehen parat, um eine phantastische, magische Stimmung zu evozieren. Dazu gehören die Zeichen und Symbole des Übernatürlichen, des Märchenhaften wie die entrückt eingesetzten Figuren, der Schimmel, der stille Weiher, das Boot, die Lichtung im Wald – wiewohl alles allerdings in einer offensichtlich lädierten waldsterbenden Einsamkeit sich abspielt. Doch bei einem weiteren Blick erscheint plötzlich nichts mehr nur vordergründig schön und fast ein wenig romantisch zu sein. Eine Szenerie des Wartens, eine Stimmung einer verhalten lauernden Spannung ist spürbar. Was soll das Ganze? Der Titel des Bildes, „Die Sichtung von Poseidons Pferd“ hilft da auch nicht weiter, oder weist gar in die Irre. Dieses Bild lebt, wie andere dieser Künstler, vielleicht gerade aus dieser gewissen, wiewohl nicht expliziten Spannung heraus, die deshalb entsteht, weil manches Unvereinbare mit einander ins Spiel gebracht wird und miteinander aufscheint.

Dieses Prinzip, Spannungen durch inhaltliche und formale Differenzen und Differenzierungen, sowie durch Übertreibungen und Pointierungen hervorzurufen, erfährt bei Ramacher & Einfalt eine besondere Variante. Bei ihnen ist die ästhetische Vereinbarkeit des eigentlich Unvereinbaren nicht so sehr an die gewollte Provokation gekoppelt, wie etwa die durch Ironie und Übertreibung, sondern vielmehr an das Spiel; und zwar ein Spiel mit den formalen, inhaltlichen als auch mit den vielschichtigen Erwartungen, Wahrnehmungen und Empfindungen des Betrachters.

Die moderne Psychologie berichtet von den bemerkenswerten Verhaltensweisen des Einzelnen, die sich nicht so sehr in den Zuständen der Homöostase, des Gleichgewichts, der Ausgewogenheit, auch des Kompromisses ereignen, als vielmehr gerade in den seelischen Prozessen der Widersprüchlichkeiten, der Spannungszuständen, der Camouflagen und der Täuschungen, nicht zuletzt auch gerade der Selbsttäuschungen. Unaufhörlich verlangt es uns danach, unser Verhalten nach Maßstäben, die wir uns selber vorgeben, auszurichten; und diese Maßstäbe richten sich nicht nach so etwas wie Objektivität, sondern meistens nach purem individuellen Opportunismus, nach momentanen Empfindungen und Emotionen. Eine  der dringlichen Aufgaben des Individuums besteht daher denn auch darin, solche Gegensätzlichkeiten nicht zu verdrängen und zu vermeiden, sondern sich ihnen immer wieder zu stellen und sie in das eigene Verhalten und den jeweiligen konkreten Alltag zu integrieren. Dieses Prinzip weiß sich die Malerei, zumindest die moderne oder die postmoderne, zu bedienen. Sie präsentiert dem Betrachter ein medley aus unterschiedlichen Reizen, Farben, Formen und Inhalten. Sie gibt nicht länger mehr, wie ihre ältere Schwester, ganze und intakte Weltanschauungen und Weltbilder aus universellen Symbolen, Images, Bedeutungen vor, sondern sie bietet eine intendierte Ansammlung von visuellen Reizmöglichkeiten an.

Das Bild „Der Hafenmeister“ ist das vierte Bild in einer Serie „Das Gestade“; sie berichtet als Ganzes von der absonderlichen Reise der letzten Jahre dieses Künstlergespanns. Es erzählt nicht, es zeigt. Eine im Ausdruck und in der Gestik hochbarocke, männliche und gleichzeitig auch androgyne Figur, die am Ufer sich empor rankt und ein Modell eines Schiffes hochhält und damit etwas hoch dramatisch vorzuweisen scheint. Der Körper ist überdeutlich manieriert dem Betrachter hingebogen.  Der silbergraue Horizont unterscheidet sich vom Blass des Himmels lediglich durch ein Netz an filigranen Linien der Schiffstakelagen, Masten und Segeln. Die beiden unvermeidlichen Protagonisten, die Wanderer auf allen Ebenen, positionieren sich wiederum – aber diesmal auf einer Bank am trockenen Ufer – und warten. Auf was? Und warten sie überhaupt? Dienen sie gar als bloßes Logo? Leicht käme man als Betrachter ins Grübeln – und ins Rutschen. Gäbe es da nicht das wahrnehmbare bewusste und nachvollziehbare ästhetische Anliegen, mit den Mitteln des Spiels und des Zitierens und vor allem mit den Mitteln einer gekonnt künstlerischen Umsetzung an alte Wünsche und Sehnsüchte des Menschen zu rühren.


Aus dem Katalog Ramacher & Einfalt „Am Gestade stehend, beobachten wir die Schiffe“ 2000 Galerie Les Chance de l`Art, Bozen