Ikarus in Lederhosen
Das Künstlerduo Ramacher & Einfalt bewegt sich touristisch durch die Mythologie der Vergangenheit und Vorzukunft.
„Über den Dächern von Rom“, „Ein Treffen mit Schamanen und Kobolden“, Das große Fest des Bacchus“ lauten die viel versprechenden Titel detailreicher, raffinierter Gemälde im Stil alter Meister. So ähnlich wirken die Installationen auch, allerdings nur auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinschauen sieht alles freilich anders aus: Zwei Gestalten lugen als Fototouristen hinter einem Baum hervor oder stehen stolz als Jäger posierend auf einem Felsen – und sind entweder irgendwo unauffällig klein oder dominierend groß im Vordergrund. Die Rede ist vom Künstlerduo Ramacher & Einfalt. Die beharrliche Omnipräsenz in ihren Werken – die von Bildern über Skulpturen, Objekten und Videoinstallationen bis hin zu Filmen reichen, hat dabei weniger mit dem klassischen Selbstportrait zu tun als vielmehr mit einem visualisierten Eintauchen in eine facettenreiche Phantasiewelt.
Jürgen Ramacher wurde 1963 in Baden geboren und J. Ch. Einfalt 1959 in Zwettl. Sie studierten zur gleichen Zeit an der Akademie der bildenden Künste in Wien und arbeiten seit den 90iger Jahren gemeinsam. Weshalb auch zahlreiche Ausstellungen und Auszeichnungen ihren Schaffensdrang repräsentieren. 2004 erhielten sie das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich.
Die Arbeiten von Ramacher & Einfalt fallen durch zwei Besonderheiten auf: durch die hartnäckige Selbstdarstellung in nahezu jedem Bild und durch unzählige Zitate quer durch Geschichte, Mythologie und Kunstgeschichte. Dabei integriert das Künstlerduo die Selbstdarstellung direkt in die opulenten, eklektizistischen Gemälde. Zu ihrer Grundausstattung gehören skurrile Attribute: Einfalt mit einem skelettierten Schirm mit Rehkrickerlgriff als Kopfbedeckung, Ramacher mit Kamera und einer Bogensäge. Die Frage, ob es sich um ironisch gebrochene Selbstportraits, aktionistische Selbstdarstellungen, Allmachtsphantasien oder postmoderne Inszenierung handelt, ist ungeklärt. Die Bilder zeigen aber auch in kunstvoll gemalten Ansichten Trümmerfelder überlieferter Mythen, Bruchstücke aus der Geschichte, Versatzstücke bekannter Gemälde quer durch die Kunstgeschichte. Und eine gewisse Überladenheit und barocke Üppigkeit zeichnet sie aus. Im Gegensatz dazu stehen jene archaischen Formen der Skulpturen herum, die uns in eine Zeitlosigkeit, ja Jenseitigkeit versetzen. Mitten drinnen immer wieder die Künstler, die – völlig ungeniert ob ihrer körperlichen Unvollkommenheit – gelegentlich auch nackt auftauchen. So erzeugen sie durch ihre eigene Präsenz einen Bruch in der Rezeption, der den Arbeiten Eigenheit und Ausdruck verleiht. In der verwirrenden Mannigfaltigkeit ihres Werks, das sich als uferloser Fundus kultureller Überlieferungen entpuppt, entdeckt man eine Inhaltsfülle, die schwindelig macht. Was bedeutet diese Statue dort im Hintergrund? Diesen Jüngling kennt man doch? Woher kommt diese Griechenschönheit? Spätestens nach Betrachtung eines halbes Dutzend Bilder wird offensichtlich, dass die Entschlüsselung gar nicht den richtigen Zugang eröffnet, sondern den Blick auf das verstellt, was auch immer die Künstler ausdrücken wollen. So sind Ramacher & Einfalt Reisende durch Zeit und Raum, Touristen quer durch die Mythologie, hinein in die Geschichte und heraus aus der Vorzukunft. Das Künstlerduo ist immer und überall schon da gewesen und wird zukünftig – postapokalyptisch, also nach der Apokalypse der Offenbarung – auch immer jeweils da gewesen sein. Dabei kann der Übergang von einer Welt zur anderen mit Angst und Schrecken verbunden sein: Im Zyklus „Horror vacui“ werden die Protagonisten anamorphotisch verzerrt und hineingezogen in den Mahlstrom der Leere. Wenn daher Körperhüllen zusammen mit Polaroidfotos ihrer unverwechselbaren Schuhe auf dem Totenschiff liegen, so gewährt uns dies in den darum installierten Bildern der „Postapokalyptischen Reise“ Einblick in ein jenseitiges „Danach“. Es kann bei alldem aber auch sein, dass die Apokalypse bereits stattgefunden hat. Die Bilder zeigen jedenfalls auch originelle Jetztzeit-Ruinen und Überbleibsel unserer Zivilisation: Autos, Fernseher, Computer, Flugzeuge. Wohin immer wir uns wenden – Ramacher & Einfalt waren schon früher da; oder sind seit jeher da gewesen. Wie gehabt.
In ihrem Ikarus- und Flugmaschinen – Zyklus schließlich sind die beiden Künstler mit Helmhauben, goldenen Flügeln und einer Art Fluggeschirr zusätzlich zu den obligaten Lederhosen ausgestattet. Derart gerüstet brechen Ramacher & Einfalt in ihrem Kurzfilm „Projekt Ikarus – Flugversuch1“ aus einem Wiener Wohnhaus zu einer ungewöhnlichen Reise auf, erreichen über endlose Hinterhöfe und Durchgänge die Straße, benutzen die Straßenbahn, kaufen am Bahnhof Fahrkarten und gelangen schließlich mit der Bundesbahn in eine verwilderte Gegend. Dort starten sie ihre Flugversuche. Die Reise endet in voraussehbarer Weise mit dem Absturz beider, sie gehen in Flammen auf, weil sie der Sonne zu nahe gekommen sind. Und in gewisser Weise sind sie tatsächlich aufmüpfige Söhne, Ikarus mal zwei.
Das vorläufig letzte Stadium ihrer Inszenierungen erreichen Ramacher & Einfalt allerdings mit ihrem vergoldeten Beiwagenmotorrad. Vergangen Herbst noch als totes Objekt im Kunsthaus Frauenbad zu bestaunen – nun aber für eine kleine Rundfahrt durch Baden und das Helental im Rahmen einer Videoinstallation auf Reisen gegangen. Das goldene Motorrad wird in Zukunft sogar als „echtes“ Fortbewegungsmittel dienen.
Das Thema der Reise und die ständig wiederkehrenden Schiffe und Fluggeräte symbolisieren in den Werken von Ramacher & Einfalt ganz offensichtlich den Übergang von einem Ort zum anderen, von einem Zustand in dessen Gegenteil, von einer realen Welt in eine jenseitige, abseitige. Dabei kehren die beiden in den Lederhosen um, indem sie sich selbst ins Geschehen setzen, um dort, wo sie sich gerade befinden, begafft zu werden – um schlussendlich auf die Gaffenden zurückzublicken. „Ca nous regarde“
"morgen" Kultur in Niederösterreich 2 / 2005