Von den Möglichkeiten und Gefahren des Reisens
Eine zwischen Idylle und Pathos changierende Alpenlandschaft bildet den Schauplatz der Szene, im Hintergrund haben sich bedrohliche Gewitterwolken aufgetürmt. Vor dem Bild steht ein dreidimensionales goldenes Schiff, das zugleich verfremdet im Vordergrund des Bildes in der Höhe schwebend wiederkehrt. Vorne links hat sich ein in dieser Landschaft seltsam anmutendes Personal niedergelassen: eine nackte barocke Frauengestalt, die uns den Rücken zukehrt, ihren Kopf auf den rechten Arm stützt und nachdenklich zu Boden blickt. Ein Putto dahinter bewegt sich dem Bildrand zu. Vor einem die ganze Breite des Bildes durchmessenden Viehzaun stehen zwei hier fast ebenso befremdlich wirkende Gestalten: nur mit Lederhosen und Schuhwerk bekleidet, mit merkwürdigen Gegenständen ausgestattet, lehnen sie aneinander. Sind sie dem goldenen Boot entstiegen, das fassbar vor uns steht und doch zugleich im Bild ist? Beobachten sie das Geschehen? Nehmen sie daran teil? Was geschieht eigentlich?
Künstlerpaare sind in der Geschichte der Kunst die Ausnahme von jener Regel, die den schöpferischen Menschen als einsames, mit sich selbst ringendes Genie sieht. In dieser Konzeption ist der Künstler stets angehalten, in Konkurrenz zu treten, den Wettstreit mit anderen Künstlern innerhalb und außerhalb des von ihm bevorzugten Mediums zu suchen.
Als ein solches Künstlerpaar stellen Ramacher & Einfalt auch in der Kunst der Gegenwart eine bemerkenswerte, für Manche vielleicht zunächst ungewöhnliche Ausnahme dar. Die beiden arbeiten nicht in demselben künstlerischen Medium: Bildhauer und Maler haben sich in dieser speziellen Gemeinschaft zusammen getan. Ramacher & Einfalt sprengen damit in ihren Arbeiten Gattungsgrenzen ebenso, wie sie tradierte Entitäten („der Künstler“ und „sein Werk“) hinterfragen.
Für den Betrachter wird sofort sichtbar, dass in unterschiedlichen Medien unterschiedliche künstlerische Konzepte aufeinander treffen; wohl daraus ist die Dialektik von äußerstem Gegensatz und größtmöglicher Einheit zu erklären, die in den Werken von Ramacher & Einfalt immer wieder auf unterschiedlichen Ebenen verhandelt wird.
Abseits von Medien und Techniken verfolgen die beiden einen thematisch konsequenten Weg, der Variationen auf das Thema der „Reise“ anbietet. Ihre Skulpturen und Bilder verweisen ständig auf die Möglichkeit des Abreisens, der Bewegung in alternativ entworfenen, unwirklich-traumartig scheinenden (Bild-) Räumen, des Wahr-Nehmens des Unbekannten, des Anderen. Auf ihren Reisen erinnern die beiden Motive aus einem kollektiven – historischen – Pool künstlerisch-kultureller Produktion und fügen diese Motive als Zitate und verfremdete Elemente neu zusammen.
Im monumentalen Zyklus der „postapokalyptischen Reise“ sind grundlegende Elemente der Kunst von Ramacher & Einfalt auszumachen. Da ist zunächst die an das Barock gemahnende Größe des Versuchs, in zahlreichen allegorischen Bildern eine komplexe Geschichte – oder vielmehr Fragmente von Geschichten – zu erzählen. Da sind die überbordenden Verweise auf die Kunst der Vergangenheit, die Kunst der „Alten Meister“, die in der Zeit nach der Apokalypse wieder auftreten. Es sind Wiedergänger versunkener Epochen, die sich in einer anderen Welt neu gruppieren, zu neuen Zusammenhängen fügen und neue Geschichten erzählen. Vermittelt über ihre Bilderfindungen, die Christian Einfalt mit sicherer und zugleich lockerer Hand aus ihren ursprünglichen Kontexten löst, sind diese Alten Meister präsent. Fast „altmeisterlich“ – und dabei alles andere als konservativ – malt Einfalt die berühmten und weniger berühmten Vorbilder in seine Bilder. Es ist jedoch nicht ein einfaches Zitieren, sondern ein ironisch-subversives Kommentieren, das hier mithilfe bekannter Bilderfindungen getrieben wird. Die Gefahr, simpel und epigonal zu werden, besteht bei diesem dem Konzept der Collage oder Assemblage ähnlichen Verfahren nicht: die neuen, zuvor ungeahnten Zusammenhänge sind es, die gänzlich neue Perspektiven auf vermeintlich Bekanntes vermitteln.
Oft wirken die klassischen Figuren wie abgestellte Requisiten eines nicht mehr am Spielplan stehenden Stückes, und Ramacher & Einfalt sind die Requisiteure, die sich selbst als Protagonisten dieser Reise ins Bild setzen. Sie treten in einer nur kaum verhüllten individuellen Körperlichkeit auf, die zu den idealen Figuren, die sie zitieren, in krassem Widerspruch steht.
Sie wandern durch Landschaften, nehmen am Geschehen teil oder stehen unberührt davon und selbstsicher inmitten vordergründig idyllischer, tatsächlich aber oft traumatischer Bildräume. Mitunter ausgestattet mit einer Säge, einem stofflosen, mit Geweih bekrönten Regenschirm sowie dem Utensil des modernen Reisenden schlechthin – einem Fotoapparat. (Er verweist zugleich symbolisch auf den Akt des Sehens, Wahr- und Aufnehmens.) Oft haben Ramacher & Einfalt Flügel aufgeschnallt, setzen zur Landung an oder versuchen abzuheben. So streifen die beiden durch dieses sehr subjektive, und gleichzeitig – durch die Klassizität der Zitate – umfassende, in Einzelheiten vertraut wirkende Wunderland.
Den RezipientInnen geben sie Anleitung zum Sehen ihrer Visionen, fordern sie auf, es ihnen gleich zu tun und sich mit ihnen auf Wanderschaft, auf die Reise zu begeben. Sie führen uns in und durch die von ihnen gesehenen Räume, nicht aber als allwissender Cicerone, sondern im Verborgenen ebenso staunend wie der Betrachter.
Das „Reisebüro Ramacher & Einfalt“ bietet neben der postapokalyptischen aber auch noch zahlreiche andere Destinationen in unterschiedlichen Transportmitteln an. Jürgen Ramacher ist der Flugzeug- und Schiffsbauer, seine Fluggeräte, Boote und Schiffe bringen sowohl im Modell als auch der lebensgroßen Ausführung die Möglichkeit mit, die Reise – konkret und haptisch – anzutreten. Diese Objekte, verbeult, verformt, verbogen, sind kostbar vergoldet und entlarven sich selbst in ihrer nur imaginierten Praktikabilität. Sie stehen auf seltsamen Stelzen, ragen aus Wänden oder schweben frei im Raum. Auch in den Bildern tauchen sie wieder auf, Ramacher & Einfalt benützen sie also „tatsächlich“ bei ihrer Reise in andere Welten.
Im „Totenschiff“, das an eine altägyptische Barke erinnert, liegen die beiden, Mumien gleich, in Lebensgröße über einander. Diesem doch eher passiven sich Fortbewegen stehen goldene Flugobjekte gegenüber, die der Bewegung eines lebendigen Körpers unbedingt bedürfen. Aus vorgefundenen Materialien zusammengefügt, die vordem kaum etwas gemeinsam hatten – eine Analogie zur Vorgangsweise Einfalts – mag man gerne glauben, sie würden uns die Möglichkeit bieten, eine „unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ anzutreten. Nur eingeschränkt komisch sind jedoch die Szenarien, die den Reisenden erwarten.
Die Karikatur als Ausdrucksmittel kommt bei einer der jüngsten Arbeiten Ramachers verstärkt zum Einsatz, hat er doch, ganz selbstverständlich dem Konzept des veredelten Fortbewegungsmittels entsprechend, ein historisches Motorrad vergoldet. Es mag das erste Gerät im Schaffen von Ramacher & Einfalt sein, das nicht nur imaginativ, sondern tatsächlich Bewegung ermöglicht. Wie bei den früheren Arbeiten ist die Vergoldung jedoch bewusst keine perfekte, sondern bleibt die hauchdünne Blattstruktur des Schlagmetalls sicht- und erfahrbar. Es ist kein aufgemotztes Statussymbol, mit dem Ramacher & Einfalt die Straßen unsicher machen möchten, sondern (auch) ein ironischer Kommentar zu derartigen repräsentativen Strategien in der Alltagskultur. Dennoch verweist das Blattgold der Transportmittel auf die Exklusivität des Besonderen, Erhabenen, das durch Bewegung und Reisen, Wahrnehmung des Fremden, Neuen und Anderen möglich wird.
Wie Ramacher & Einfalt wohl niemals große Scheu vor dem Erproben neuer Techniken und Materialien, vor der neuen Kombination bekannter Motive hatten, so hat sich Christian Einfalt intensiv mit den Möglichkeiten des digitalen Bildes auseinander gesetzt, sich dieses Medium für seine Zwecke zunutze gemacht und zu neuen, von früheren Arbeiten vielfach unabhängigen Bildern gefunden.
Weiterhin ist es das Zitat aus der Klassik, das ihm als Ausgangspunkt dient, doch wird es nun verformt, verdreht – oft bis zur Unkenntlichkeit. „Sterben und Tod - Sog 1“ bezieht sich auf ein Gemälde des Wiener Kunsthistorischen Museums, den „Engelssturz“ Luca Giordanos. Was Giordano als monumentalen Triumph des Guten über das Böse dargestellt hat, ist nun fragmentiert und auf die intensivste Figur des Bildes konzentriert: den mit gespreizten Beinen und vom Schrecken verzerrten Augen stürzenden Engel/Teufel, umgeben von künstlich deformierten Köpfen, Extremitäten anderer Protagonisten aus Giordanos Bild.
Was hier durch die Konzentration auf Wesentliches entsteht, gleicht einer aktualisierten Fortschreibung, um nicht zu sagen, Vollendung des „Vor-Bildes“, das Resultat ist ein zutiefst barockes und zugleich doch zeitgenössisches Bild.
Wie Einfalt exzessiv und radikal mit seinem Motivrepertoire umgeht, und Ramacher verschwenderisch Gold auf seine Raum-Schiffe und Zeit-Maschinen aufbringt, scheint den beiden tatsächlich ein barocker Zug anzuhaften, in ihrem lustvollen und zugleich hintergründig-klugen Spiel mit Erinnerungen, Fantasien, Träumen und Traumata.
Ramacher & Einfalt fordern uns auf, Bekanntes in neuen Kontexten anders zu sehen, die zugleich ironisch und tiefernst, komisch und erschreckend auf uns wirken können. Wir haben die Möglichkeit, mit ihnen in andere Wirklichkeiten abzureisen – und es besteht die Gefahr, dass wir Vieles in Zukunft mit anderen Augen sehen. Diesen „Flugversuch“ zu den „Schattenseiten“ sollten wir unbedingt unternehmen.
Katalog Ramacher & Einfalt Kunsthaus Frauenbad, Baden „Schattenseiten und Flugversuche“ 2004